Dissention Kapitel 5: Eine angeblich leere  Scheune in New Magincia

(Zeitgleich mit dem Ende des vorhergehenden Aktes.)

Drei Figuren, zwei Männer und eine Frau, waren in einem düsteren verlassenen Gebäude zusammengekommen. Der blasse Schimmer einer angezündeten Fackel war das einzige, was ihre Anwesenheit in dieser leeren, heruntergekommenen Scheune am südöstlichen Ende der kleinen Stadt verraten hätte können.

„Wann hat der Dummkopf vor, aufzutauchen?“ fragte Henry von New Magincia, zum Verschwörer gewordener arbeitsloser Hausierer, zum hundertausendsten Mal.

„Nur Geduld,“ erwiderte der andere Mann. „Vergesst nicht, dass er mehr als wir alle mit diesem Unternehmen riskiert.“

„Ich traue ihm nicht, Anton. Er hat selbst zugegeben, ein Dieb und Lügner zu sein.“

„Das -war- er,“ stimmte Anton zu. „Und ich -war- Assistent des großen Weisen Alagner. Und Ihr -wart- ein einfacher Dorfhausierer. Wir können es uns nicht leisten, unsere Freunde mit solch hochtrabenden Erwartungen an ihren Charakter auszusuchen.“

„Hochtrabend? Der Mann ist ein Gauner!“

„Sagt bescheid, wenn Ihr einen Helden findet. Bis dahin müssen wir uns mit dem Gauner zufriedengeben, weil wir nichts anderes haben.“

Die Hirtin Katrina, am wenigsten berühmte Gefährtin des Avatar, wurde beim Wort „Held“ hellhörig. Bislang hatte sie nur gedankenverloren aus dem Fenster gestarrt und die Streiterei ihrer Mitverschwörer ignoriert.

-Ein Held, genau-. Da die Verbindung zum Kontinent durch die Blockade der Piratenflotte unterbrochen war, war es so gut wie unmöglich, zu erahnen, was die letzten verbleibenden Streitkräfte der Tugend vorhatten, aber in diesem Fall war es ziemlich klar, dass sie zum selben Schluss wie Anton mit seinem Spott gekommen waren.

Was British sich gerade gedacht hatte? Es war der falsche Zeitpunkt, neue Avatare zu erschaffen, und dieser Fremde, Jhykron, war komplett hoffungslos. Viel zu zynisch, um an die Tugenden zu glauben, viel zu pragmatisch, um sie einzuhalten, und viel zu faul, um nach ihnen zu leben- so als ob der Guardian höchstpersönlich den neuen Möchtegern-Retter Britannias ausgesucht hätte, nur um sie zu verhöhnen. Wenn es nach Katrina gegangen wäre, wäre der Kerl niemals mehr geworden als ein zweitklassiger Schafhirte. Sicher wäre das grausam, und er würde es hassen, aber dann würde er wenigstens keinen Schaden anrichten.

Und was war mit dem echten Avatar? Der König konnte ja wohl noch nicht die Hoffnung aufgegeben haben, dass er oder sie (über dieses Detail waren sich sogar die ehemaligen Liebespartner des Avatar uneinig) noch lebte. Schließlich schaffte es die wahre Verkörperung der acht Tugenden immer wieder, für Britannia die Kastanien aus dem Feuer zu holen, auch wenn sie einem manchmal auf die Nerven gehen konnte. (Wie viele Wochen kann jemand seine Zeit mit Brotbacken in Britain verschwenden, bevor er mit der Quest weitermacht? Demut ist wundervoll, aber alles zu seiner Zeit.)

„Wann ist er denn nun hier?“ fragte Henry wieder.

„Bin schon hier, Ihr Schwachkopf,“ antwortete eine neue Stimme.

„Sullivan,“ nickte Katrina. „Wir machten uns bereits Sorgen.“

„Verfolgte man Euch?“ fragte Henry.

„Soll das ein Witz sein?“ sagte Sullivan, der trickreiche Meister der Verkleidung, ehemaliges Mitglied der Gemeinschaft, und einst Imitator des Avatar. Dann legte er seine falsche Augenklappe ab und begann, schwarze Farbe von seinen Zähnen zu reiben. „Hat jemand ans Wasser gedacht? Nein, oder?“

„Ist doch egal,“ meinte Anton. „Habt Ihr etwas herausgefunden?“

„Eine ganze Menge,“ erwiderte Sullivan. „Zum Beispiel, dass ich nie mehr dorthinaus gehe. Sucht Euch einen anderen Dummen.“

„Ich wusste, es war ein Fehler, sich auf diese Ratte zu verlassen!“ rief Henry. „Ihr habt die Nerven verloren, oder?“

Sullivan gab ihm ein sarkastisches Grinsen zurück, dann zuckte er nur. „Ja, habe ich. Fragt doch Anton, was es heißt, von diesen Leuten gefangengenommen zu werden. Ich war gerade so nahe dran, wie ich es nie mehr sein möchte, danke.“

„Was ist passiert?“ fragte Anton.

„Was ist nicht passiert?“ lachte Sullivan verbittert. „Um es kurz zu machen: Ich stand unserem alten Freund Danag von Angesicht zu Angesicht gegenüber, und verdammt, er hätte mich fast erkannt.“

„Danag ist hier?“ war Anton sichtlich überrascht.

„Habt Ihr herausgefunden, warum?“ wollte Katrina wissen.

„Oh, ja. Danag hat hier ein kleines Projekt am Laufen. Ich muss schon sagen, armer Lord British. Er sollte morgen seinen letzten Tag am Thron lieber genießen.“

„Sprecht.“ schaffte es Katrina irgendwie, einen ganzen Absatz voller Fragen in einem Wort zusammenzufassen.

„Es ist ganz einfach. Wie Ihr wisst, hat es Klog von Trinsic geschafft, die Leute von Paws und Britain zu einer offenen Rebellion gegen die Krone aufzustacheln. Pech für ihn, dass Aufstände und Demonstrationen alles sind, was er erreichen kann, weil die Bürger nicht den Mut haben, die Königliche Wache zum offenen Kampf herauszufordern. Solange Lord British sicher in seinem Schloss sitzt, bleibt der Kampf zwischen Krone und Gemeinschaft ein Patt.

“Danag hat seine eigene Armee an Piraten, Trollen und Söldnern, die er in Britain landen könnte, um das Schloss anzugreifen. Zum Glück will Klog davon nichts hören. Wie er richtigerweise festgestellt hat, würde eine fremde Armee, vor allem wenn es sich um so eine wilde Bande von Banditen handelt, die Leute schnell ins Lager des Königs zurücktreiben.

„Da also ein offener Angriff nicht in Frage kommt, hat sich die Gemeinschaft etwas noch Teuflischeres ausgedacht, um die königliche Festung zu Fall zu bringen. Morgen zur dritten Stunde nach Einbruch der Nacht wird ein Verräter in der Königlichen Wache die Zugbrücke herunterlassen und das Gitter öffnen. Ein großer Wagen, gefüllt mit angezündeten Pulverfässern, wird dann durch das Tor gefahren werden, mitten ins Herzstück des Palastes. In der Panik nach der unvermeidbaren Explosion werden Klogs fanatischste Jünger ins Schloss eindringen, Feuer legen und Kehlen durchschlitzen. Dem König, auch wenn er überleben sollte, wird dann von den Stadtbewohnern, die sowieso schon kurz vor der Revolution stehen, der Rest gegeben; eine vernichtende und demütigende Niederlage.“

„Unmöglich,“ sagte Henry. „Wie haben sie vor, einen großen Wagen voller Pulverfässer unbemerkt vor das Schloss zu bringen?“

„Nun, der Wagen wird bis kurz vor dem geplanten Angriff leer sein und kein besonderes Aufsehen erregen. Die Pulverfässer werden dann händisch durch ein nahegelegenes Mondtor gebracht und auf den Wagen geladen, kurz bevor das Schlosstor geöffnet wird. Die haben diesen ganzen Prozess die letzten Tage geübt und können es jetzt verdammt schnell durchziehen. Der Sprengstoff wurde natürlich schon vor Wochen in Alagners altem Labor gemixt. Damit sie es morgen schaffen, braucht Danag nur noch den Mondstein vergraben.“

„Wir müssen sie aufhalten,“ stellte Anton fest.

„Wie denn?“ spottete Sullivan. „Durch einen Haufen Bauern mit ihren Mistgabeln und Sensen?“

„Wenn es sein muss,“ stimmte Henry zu. „Das könnte eine Katastrophe ungeahnten Ausmaßes werden. Wir müssen jeden Bauern, Schafhirten, Ziegenhirten, Schweinehirten und alle anderen im Dorf, die eine Waffe tragen können, zusammentrommeln, um sie aufzuhalten.“

„Pulverfässer kann man schließlich leicht zerstören. Ein kleines versehentliches Feuer...“ fuhr Anton fort.

„Ja! Wir trommeln die Leute zusammen, bevor sie morgen dieses höllische Mondtor öffnen,“ stimmte Henry zu.

„Nein,“ sagte Katrina. „Henry, mein ältester Freund, ist Euch klar, was geschehen würde, wenn wir das machen? Die Gemeinschaft wird uns dann nicht länger ignorieren. Bei diesem Angriff könnte unser ganzes Dorf draufgehen. Jemand muss zum König vordringen und ihn warnen. Wir müssen also angreifen, -nachdem- sie das Mondtor öffnen. Wir müssen so viele Leute wie möglich durchbringen.“

„Wir sollen uns durch das Mondtor kämpfen?“ fragte Sullivan ungläubig. Ihr schlagt ernsthaft vor, dass wir geübte Soldaten mit Eurem Bauernwerkzeug niederzuschlagen versuchen!„

“Ja, das tue ich,„ sagte Katrina ruhig. “Anton, Henry, warnt die Leute. Außer Ihr-wisst-schon-wer, um den kümmere ich mich. Sullivan, Ihr wart uns eine große Hilfe. Macht, was Ihr wollt.„

Ohne auf eine Antwort zu warten, ging Katrina hinaus. Sie lief so schnell wie möglich zu ihrem Ziel und blickte hinter sich, um sicherzustellen, dass sie niemand verfolgte.

Ihr blieb fast das Herz stehen, als sie an der Werkzeughütte angelangt war und die Fußabdrücke am Boden sah. Jemand war hier gewesen. Sie blickte sich rasch um, aber alles, was fehlte, war eine alte rostige Pflugschar, die zwischen zwei Nägeln an der Tür gehangen hatte. Erleichtert nahm sie die Schaufel und ging eine bestimmte Anzahl Schritte von der Scheune weg, zu einem unauffälligen Stück Dreck in einem Feld.

Ein paar Minuten schnelles Graben später stieß sie auf einen langen, schmalen Schrank, der längsseitig im Boden vergraben war. Sie öffnete das Schloss mit einem kleinen Schlüssel, den sie auf einer Kette um ihren Hals trug und machte den Schrank auf. Sie griff hinein und nahm das, was darin lag, in die Hand.

Katrina ging diese Nacht mit etwas nach Hause, das lange Zeit dem glücklosen Bauern Mack von Britain gehört hatte und wahrscheinlich die mächtigste Waffe war, die Britannia noch hatte.


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