Dissention Kapitel 6: Der Große Wald

(Noch eine Scheune, neben einer ausgeraubten Hütte)

Ganz langsam und leise schlich sich Spark an die nächste Wand. Auf Zehenspitzen, um ja auf kein Gestrüpp oder Zweige zu treten, gelangte er unter ein zerbrochenes Fenster. Spark blickte zurück zum Unterholz, wo er gerade hergekommen war, und nickte. Dann lauschte er den Stimmen im Haus.

„... ich sag doch, da ist nichts.“

„Mehr nachschauen, weniger reden, Doyl,“ antwortete eine tiefere Stimme. „Denk dran, Belohnung setzt Verdienst voraus und so.“

„Es ist doch schon zwei Tage her! Sogar Ekkot ist bereit, aufzugeben.“

„Wie bitte, sogar nach seiner -erleuchtenden- Erfahrung?“

„Was war das?“

„Hat er es dir nicht gesagt? Der alte Trottel behauptete, gestern beim Holzhacken neben der Scheune seine ’innere Stimme’ gehört zu haben.“

Der, der Doyl genannt wurde, brach in Gelächter aus. „Was sagte sie ihm?“

„Sie hat gesungen, meinte er. Irgendeinen Quatsch darüber, wie ein Pferd ein Pferd ist und klarerweise niemand mit einem Pferd reden kann. Völlig übergeschnappt.“

„Ihr sagt es.“

Spark dreht sich wieder zum Unterholz um und hielt zwei Finger in die Höhe, dann zeigte er auf die Hütte. Schließlich hielt er noch einen Finger hoch und zuckte mit den Schultern. Nachdem er sich wieder umgedreht hatte, versuchte er, noch einmal um das Gebäude herumzugehen. Plötzlich tauchte ein wilder, ungepflegter, bärtiger Mann hinter den Bäumen auf, der in einer Hand einen Klafter gehacktes Holz trug und in der anderen eine Holzfälleraxt, die er über die Schulter gelegt hatte. Als er Spark sah, riss er die Augen weit auf und ließ sein Holz fallen.

„Mick, Doyl, raus da! Wir haben einen Besucher!“

Spark grinste und versuchte, entschlossen dreinzublicken (zumindest so entschlossen, wie man es von einem schlaksigen Burschen erwarten kann). Er zog ein Messer mit rotem Griff aus seinem Gürtel und fuchtelte damit vor dem Mann herum.

„Lasst die Axt fallen und ich tu Euch nicht weh,“ sagte Spark.

Der Mann lachte und schwang die Axt über Sparks Kopf. Spark konterte mit einem geraden Schlag seines Messers, das kurz schimmerte, bevor sich seine Klinge zu der eines sechs Fuß großen Zweihänders erweiterte. Das durchbrach sofort den Griff der Axt, wogegen auch Ekkots entsetzter Gesichtsausdruck nichts mehr machen konnte.

Spark steckte das Messer (wieder zur normalen Länge zusammengezogen) in die Scheide. Dann drehte er sich um und sah, was er gehofft hatte, und zwar, dass Sentri gerade sein Schwert mit dem Umhang von einem der anderen gefallenen Gemeinschafts-Halunken abputzte. Feridwyn kam aus seinem Versteck hervor und schüttelte den Kopf.

Spark durchsuchte rasch die Taschen der drei glücklosen Banditen und erleichterte sie um ein paar Münzen.

„Ich staune immer wieder darüber, wie Euer vielgerühmtes Tugendsystem beide Augen zudrückt, wenn es darum geht, die Leichen ermordeter Leute zu fleddern,“ merkte Feridwyn an.

„Ja, das ist ganz praktisch, oder?“ meinte Sentri und ging sogleich auf die Scheune zu. „Kommt, bringen wir es hinter uns.“

Der einzige Bewohner dieser Scheune, die dem legendären Barden Iolo gehörte, war ein brauner Hengst (auch wenn er zwischendurch einmal seine weiße Phase hatte) namens Smith. Smith wirkte ungepflegt und unterernährt, sah dafür aber noch recht gut aus.

„Hey, Smith,“ grüßte ihn Spark.

„Hey, Ihr,“ antwortete Smith.

Feridwyn riss die Augen weit auf, so als ob er eine Zeichentrickfigur werden wollte. „Hat das Pferd da gerade...“

„Ja,“ schnitt ihm Sentri das Wort ab.

„Ihr Menschen habt eine bemerkenswerte Gabe, das Offensichtliche zu erfassen,“ beobachtete Smith. Dann änderte sich sein Gesichtsausdruck, so als ob er sich an etwas erinnerte. „Spark, Sentri, Ihr müsst den Avatar warnen! Wenn sie auf der Schlangeninsel ist, darf sie auf keinen Fall, egal unter welchen Umständen, durch die Wand der Lichter schreiten. Das ist ganz, ganz wichtig.“

„Äh, Smith,“ schluckte Spark. „Schlechte Neuigkeiten. Der Avatar ist schon auf der Schlangeninsel. Der Guardian nahm ihn gefangen und...“

„... er oder sie ist tot,“ beendete Feridwyn Sparks Satz, als dieser es nicht herausbrachte.

„Tot? Nein! Iolo auch?“

„Das wissen wir nicht,“ sagte Sentri. „Deshalb ist es auch sehr wichtig, dass Ihr uns helft, Pferd. Wir müssen die Karte finden, die Gwenno für ihren Mann gemacht hatte, auf der die Lage der Schlangensäulen eingezeichnet ist.“

„Ja,“ sagte Smith. „Die anderen haben auch schon nach der Karte gesucht. Aber ich habe sie genial versteckt.“

Sentri blickte angewidert drein. „Hört mir genau zu, wir haben keine Zeit, Euch dabei zuzuhören, wie Ihr Euch selbst gratuliert. Sagt uns jetzt, was wir wissen müssen, oder ich bitte Miranda, dass sie ein Edikt verfasst, wonach alle Pferde in Britannia sofort aufgehängt werden.“

„Lord British würde so etwas niemals unterschreiben.“

„Glaubt bloß nicht, dass Lord British alles liest, was er unterschreibt. Wo ist die Karte?“

„Äh...“ sagte Smith. „Ich habe sie gegessen. Natürlich nur, um sie vor den Gaunern zu verstecken.“

Feridwyn und Spark stöhnten, während Sentri so aussah, als könne er jemanden umbringen.

Smith fügte schnell hinzu, „Aber ich prägte sie mir vorher ein. Damit ich sie auf Wunsch jederzeit neu zeichnen kann.“ Smith bemühte sich, ob seiner Voraussicht nicht zu stolz dreinzublicken.

„Äh, Smith,“ versuchte es Spark auf die diplomatische Weise. „Ihr seid... ein -Pferd-. Ihr habt keine Hände zum Zeichnen.“

„Oh, stimmt,“ blickte Smith verlegen. „Ups.“

„Ihr wisst doch,“ murmelte Sentri. „ Gargoyles sind ganz wild auf Salami, wenn ich mich recht erinnere.“

„Sentri, wir können nur eins machen,“ sagte Spark.

„Ihr schlagt doch nicht ernsthaft vor, dass wir...“

„Das ist der einzige Ausweg.“

„Verzeihung,“ sagte Smith. „Gibt es etwas, das ich wissen sollte?“

Feridwyn lächelte gequält und dachte daran, dass er genau dieselbe Frage gestellt hatte. „Ihr solltet zwei Dinge wissen, Smith. Erstens, dass Sentri noch eine schlechte Woche bevorsteht. Zweitens, willkommen in unserer kleinen Gruppe. Ihr habt Euch gerade für eine längere Seereise freiwillig gemeldet.“


Fortsetzung folgt...


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